Der Griff nach den Krankenkassen-Rücklagen - Insolvenzrisiko steigt!

News-Artikel vom: 21.08.2022

Es ist noch nicht so lange her, da verfügten die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland über üppige Rücklagenpolster in Milliardenhöhe. Wer sich heute die „Kassenlage“ in der GKV anschaut, vermag das kaum zu glauben. Statt überquellender Fülle herrscht gähnende Leere. Und die schmalen Rücklagenreste sollen noch weiter abgeschmolzen werden - so weit, dass mancher bereits Kasseninsolvenzen befürchtet.

Vor 2019 konnten die Krankenkassen jahrelang schöne Überschüsse erwirtschaften. Im letzten Überschuss-Jahr 2018 waren es zwei Milliarden Euro. Dann entstand 2019 - erstmals seit 2015 - wieder ein Defizit in Höhe von 1,6 Milliarden Euro. Seither hat sich die Finanzlage Jahr für Jahr weiter verschlechtert. Rücklagen mussten aufgelöst werden und die GKV ist auf immer höhere Zuschüsse aus Steuermitteln angewiesen. Eine Trendwende ist nicht in Sicht - im Gegenteil.
 

Demografische und wirtschaftliche Ursachen für schwindende Rücklagen

Für die dramatische Verschlechterung der Finanzsituation gibt es verschiedene Gründe. Überproportional steigende Ausgaben in einer alternden Gesellschaft mit weiter zunehmender Lebenserwartung sind eigentlich keine Überraschung, sondern logische Konsequenz. Weiter Belastungsfaktoren, die zu Kostensteigerungen geführt haben: der medizinische Fortschritt mit teureren Behandlungen, Leistungsausweitungen in der GKV und die allgemeine Lohn- und Preisentwicklung im Gesundheitswesen.

Auf der Einnahmenseite sorgten die sich abschwächende Konjunktur und der wirtschaftliche Einbruch im Zuge der Corona-Pandemie dafür, dass der Beitragsstrom dünner wurde. Als die schlimmsten Pandemie-Effekte bewältigt schienen, brach der Ukraine-Krieg mit all seinen negativen wirtschaftlichen Folgen für die GKV-Einnahmen aus. Da ein Ende des Konflikts nicht in Sicht ist und eine Rezession infolge Energieknappheit, explodierender Energiepreise und dramatisch gestiegener Inflation befürchtet werden muss, ist eine kurzfristige Entspannung der Einnahmesituation nicht zu erwarten.
 

Politisch gewollte Rücklagenabschmelzung

Last but not least ist die Abschmelzung der Rücklagen auch von der Politik gewollt. Schon Jens Spahn, der Vorgänger von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, griff nach den Rücklagentöpfen. Spahn waren die hohen Rücklagen der Kassen ein Dorn im Auge. Mit dem sogenannten Versichertenentlastungsgesetz wurden die Krankenkassen 2020 gezwungen, „übermäßige“ Rücklagen nach einem festgelegten Mechanismus abzubauen. Als übermäßig galten nach dem Gesetz Rücklagen, die die durchschnittlichen Monatsausgaben einer Krankenkasse übersteigen. Die Rücklagenüberschüsse sollten in den Gesundheitsfonds fließen und auf diesem Umweg auch den Versicherten beitragsentlastend zugutekommen.

Das war die erste Attacke auf die Rücklagenpolitik der Krankenkassen. Bis dahin konnten sie die Rücklagendotierung nach oben unbegrenzt vornehmen. Schon 2021 erfolgte der nächste Zugriff. Die Grenze, ab der die Zwangsauflösung von Rücklagen erfolgen muss, wurde auf 0,8 Monatsausgaben reduziert. Krankenkassen mussten demnach bereits früher mit der Rücklagenauflösung beginnen, der Rücklagenabbau wurde beschleunigt und ausgeweitet. Diese Maßnahme diente bereits der Stabilisierung der inzwischen defizitären Kassenlage.
 

Lauterbach geht an die Grenze des Möglichen

Spahns Nachfolger Lauterbach setzt diesen Kurs jetzt fort und geht dabei an die Grenzen des Möglichen, um die inzwischen dramatischen Löcher in der GKV zu stopfen. Mit dem sogenannten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz soll die Marke für Rücklagenauflösungen ab 2023 auf 0,2 Monatsausgaben abgesenkt werden. Demnach stünde den Krankenkassen künftig nur noch eine minimale Reserve zur Verfügung. Vorgesehen ist, dass die Reserven in zwei Stufen anteilig herangezogen und dem Gesundheitsfonds zur Stabilisierung der Beitragssätzen zufließen sollen.
 

Kaum noch Polster für Ausgabenspitzen und Liquiditätsengpässe

Kassenvertreter protestieren gegen diese Maßnahme, weil dann manchen Krankenkassen nicht mehr genügend Reserven blieben, um Liquiditätsschwankungen und unerwartete Ausgabenspitzen aufzufangen. Vor allem kleineren und mittleren Krankenkassen drohe schnell die Zahlungsunfähigkeit, was eine Gefährdung der Stabilität des Gesundheitswesens insgesamt bedeuten könnte.

Noch ist das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz nur ein Entwurf. Die parlamentarische Beratung steht erst nach der Sommerpause an. Von daher ist das letzte Wort über die Rücklagen noch nicht gesprochen. Allerdings drohen in den GKV-Finanzen schon wieder neue Löcher. Von daher wird jede Finanzierungsquelle dringend gebraucht.

 

 

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